Bei historischen Nachforschungen hat Herr Prof. Dr. phil. Kurt Gärtner eine Urkunde aus dem Jahr 1303 entdeckt, in dem erstmalig unser Dorfname „Dorndiel“ erwähnt wurde. Hierüber hat er einen Artikel verfasst, der in der „DER ODENWALD“ (Zeitschrift des Breuberg-Bundes; D 1871 F; 71. Jahrg. Heft 1 / März 2024) veröffentlicht wurde:
In der einschlägigen Literatur ist ausschließlich als erste urkundliche Erwähnung von Dorndiel das Jahr 1418 genannt. Wilhelm Müller hat 1937 als erst belegte historische Namensform Dorndylle genannt,[1] die in einer Urkunde von 1418 erscheint;[2] doch in den Angaben zur Gerichtsbarkeit steht: „Schultheiß: Heinrich Rode 1305“. Die Angabe stammt aus J. W. C. Steiners Abdruck einer Urkunde, in der ein „Heinrich Rode von Dorndiel Schultheze“ unter den Zeugen erscheint.[3] Ein Vergleich mit der Originalurkunde ergibt, dass nicht nur der Wortlaut ungenau ist, sondern auch die Datierung der Urkunde falsch ist: Das Jahr der Ausstellung ist nicht 1305, sondern 1303. Als erstes Ergebnis des im Folgenden vorgenommenen Vergleichs mit der Originalurkunde ist festzuhalten, dass die Ersterwähnung von Dorndiel über hundert Jahre früher als bisher anzusetzen ist.
Die Originalurkunde, die im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt im Bestand Al Nr. 171/1 aufbewahrt wird,[4] ist in mehrerer Hinsicht aufschlussreich für die Geschichte des Dorfes. Es handelt sich um eine Schiedsurkunde; im Regest des Archivs werden nur die beiden Parteien genannt, aber Narratio und Dispositio sind ausgelassen, ebenso die Zeugen,[5] es heißt nur: „Ober-Höchst: Rucker und Otto Gebrüder v. Grumbach treten der Kommende Mosbach all ihr Recht ab, welches sie auf den Gütern zu ........ zu haben glauben“. Daraus erfährt man nichts über den Anlass der Ausstellung und die getroffenen Verfügungen, die einen Einblick in den historischen Kontext ermöglichen würden. Ich gebe daher im Folgenden eine streng diplomatische Transkription auf der Grundlage des im Netz zugänglichen Digitalisats und eine Übersetzung ins Neuhochdeutsche. In der Transkription ist der Zeilenfall des Originals beibehalten; mit * ist eine Rasur gekennzeichnet; die wenigen Abkürzungen sind in runden Klammern aufgelöst; die Unterstreichung (wohl von späterer Hand) ist übernommen.
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Wir Rucker vnd Otto gebrudere von Crumpach die Ritthere fint / bekennen vns an diefin geinwirtegin briuen . vnde dün allen den künt die diefe briue gefehen odir gehorenlefen /daz wir allir der zweiunge/vnde descrygis. die zwillhin vnsan eime deile / vnde deme Conmendur vnde den bruderen des hüfis fente Johannis * zü Malfbach an deme anderin deile was vnde biz her gewelin ift vmme alfolich / güt allo die vorgenantin der Conmendür vnde die brudere kauftin retthe vnde redeliche vmme Cunradin der da hiz Knodere daz da gelegin ift züu Obirnhoifte / vnde vmme andere ecke(re) vnde güt/die fie hattin kaufth vmme andir lude / Daz wir des genczliche von rade vnlir beidir fründe / die wir von beidin (iten dar übir gekorn hattin fin gefcheidin / alfo / daz die vorgenanten Conmendür / vnde brudere des hüfis fente Johannis züu Malbach / die nemelichin güt /
eigintliche vnde ewecliche follen befiezin vnde gerüweliche nüczin / Wir Ruckir vnde Otto die vorgenantin / vnde Crafth der da ift sün min Ottin / virzihin mit gelamittir hand allis des retthis daz wir hattin odir wandin habin an der vorgenantin güdin / alfo / daz die vorgenantin Conmendür vnde die brudere des hüfis fente Johannis zü Malbach nu(m)mer me wedir vns noch vnfern erben / die kein dienft follen gebin / noch dün noch hauerin / noch herburge / noch faftnath hünre noch zü keinin andirn dien/tin schuldig fin wie man fie nennen mag / Dirre dinge fint gezüg Probift Heinrich von Hoifte / Heinrich rode von Dorndil schultheize Herman von Otlberg Anman / Wernher von Remhürne
/ Heinrich vngrere / Cunrad der schultheize von Düfinbach / vnde andere birbe lude den zü glaubene [tet / Daz diele vorgenante rede [tede blibe ewecliche vnde velte / des henkin wir Rückir vnde Otto von Crumpach die vorgenantin brude(re) vnfir zweiir jngesigele an diefin brif / mit jngefigele des Conuentis von Hoifte / Vnde ift gegebin nach godes geburte da man zalte / dufint jar. drü hündirt jar . vnde in deme drittin jare / an deme Sündage vor mittir valtin.
{1} Wir Rucker (= Rüdiger) und Otto, Gebrüder von Crumbach [6], die Ritter sind, {2} bekennen uns an diesen vorliegenden Urkunden und tun allen denen kund, die diese Urkunden gesehen oder vorgelesen hören, {3} dass wir aller der Uneinigkeit und des Streits, die zwischen uns auf der einen Seite und dem Komtur und den Brüdern des Hauses St.
Johannes zu Mosbach [7] auf der anderen Seite war [8] und bisher gewesen ist um solches Gut, wie es die vorgenannten, der Komtur und die Brüder, rechtmäßig und ordnungsgemäß erwarben von Konrad, der da hieß Knoter, [9] das da in Oberhöchst [10] gelegen ist, und um weitere Äcker und Güter, die sie erworben hatten von anderen Leuten, {4a} dass wir uns deswegen (wegen der Streitsache) vollständig mit Zustimmung unserer Vertrauten [11], die wir von beiden Seiten in dieser Angelegenheit erwählt
hatten, verglichen haben dahingehend, dass die vorgenannten Komtur und Brüder des Hauses St. Johannes zu Mosbach die genannten Güter als Eigen und für immer besitzen sollen und unangefochten nutzen. {4b} Wir Rucker und Otto, die vorgenannten, und Kraft, der mein, Ottos, Sohn ist, verzichten einvernehmlich [12] auf all das Recht, das wir hatten oder glaubten zu haben an den vorgenannten Gütern dahingehend, dass die vorgenannten Komtur und Brüder des Hauses St. Johannes zu Mosbach nie mehr weder uns noch unsern Erben irgendeinen Dienst [13] sollen gewähren noch leisten, (weder) Hafer [14] noch Beherbergung [15] noch Fastnachtshühner [15] noch (sollen sie) zu irgendwelchen andern Diensten verpflichtet sein, wie man sie nennen mag.
{5} Für diese Vereinbarung sind Zeugen [17] Probst Heinrich von Höchst [18], Heinrich Rode von Dorndiel Schultheiß, [19] Hermann von Otzberg Amtmann, [20] Wernher von Rimhorn, [21] Heinrich Ungerer, [22] Konrad der Schultheiß von Dusenbach [23] und andere ehrenwerte Personen [24], denen zu glauben ist. Damit diese vorgenannte Vereinbarung dauerhaft bleiben soll für immer und unverbrüchlich, deshalb hängen wir Rucker und Otto von Crumbach, die vorgenannten Brüder, unser beider Insiegel an diese Urkunde (zusammen) mit dem Insiegel des Konvents von Höchst. {6} Und (das) ist geschehen nach Gottes Geburt, als man zählte tausend Jahre, dreihundert und in dem dritten Jahre am Sonntag nach [richtig: vor, korrigiert von Kurt Gärtner] Mitfasten. [= 1303-03-10]
Von den drei Siegeln der Urkunde ist das erste, das des Konvents des Klosters Höchst, abgefallen. Das zweite (leicht beschädigt) und dritte (beschädigt) sind die Siegel der Ritter Rucker und Otto von Crumbach; Umschriften: SIGILLUM RU(CKE)RI DE CRUM(P)ACH bzw. S(IGILLUM) O(T)TONIS A(...)JULNGE CRUMBACH; Bild: gespalten; vorn: halber Adler am Spalt, hinten: Seitensparren. Wappensiegel, schildförmig, Durchmesser ca. 50/42 mm, Wachs, naturfarben; anhängend an Pergamentstreifen.[25]
Im Text der Urkunde ist {1} von der Nennung der Aussteller (wir ...), {2} dem syntaktischen Subjekt der Kundgebungsformel (bekennen / dün allen den künt ...), bis einschließlich {3} der Beschreibung des strittigen Sachverhalts (zweiunge) und {4a} der angestrebten Beilegung durch den Vergleich (fin gefcheidin), die in zwei durch daz wir eingeleiteten Objektsätzen formuliert werden, alles in einem einzigen komplexen Satzgefüge untergebracht, wie es charakteristisch ist für die frühe deutsche Urkundensprache. Die übrigen Teile des Textes mit {4b} der Bestätigung der beschlossenen Verfügung, {5} der Beglaubigung durch die Zeugen und Siegelankündigung und {6} der Datierung sind verbreitete formelhafte Teile mit einer einfachen Syntax.
Die Schrift der Urkunde repräsentiert eine sorgfältige Urkundenkursive, die Schreibsprache ein orthographisch konsistentes Mitteldeutsch [26] mit den charakteristischen Merkmalen wie i für e in den unbetonten Silben (diefin, crygis, allir, gewefin usw.) sowie auffallende Schreibungen wie retthe, retthis für rehte, rehtis; fastnath für vastnaht; herburge für herberge u.v.a. In meinen Fußnoten zur Übersetzung sind bereits einige Erläuterungen zu nicht ohne weiteres vom Neuhochdeutschen her verständliche Ausdrücke gemacht worden. Lexikographische Recherchen anhand des Wörterbuchs zum Corpus der altdeutschen Originalurkunden [27] ergeben eine auffallende Nähe zu einer Frankfurter Urkunde von 1294, HStAD Bestand A1 Nr. 8/1, abgedruckt im ‚Corpus‘ unter Nr. 1918. [28] Paläographisch ist die Schrift der Frankfurter Urkunde nur in Details verschieden, ebenso die Schreibsprache. Im Umfeld der Reichsstadt dürfte also der Schreiber der Urkunde von 1303 zu suchen sein, obwohl in Frankfurt um diese Zeit so gut wie ausschließlich lateinisch geurkundet wurde.
Für den historischen Kontext aufschlussreich sind die genannten Personen, Institutionen und Orte. Die Aussteller Rucker und Otto von Crumbach gehören zur Familie der Crumbacher. „Nach welchem Ort hat sich die Familie genannt?“ fragte Elisabeth Kleberger in ihrer grundlegenden Studie. [29] Die Frage nach Stand und Herkunft stellte erneut auch Wolfram Becher im Zusammenhang mit dem Neufund einer Urkunde, die die genealogischen Verhältnisse der Crumbacher weitergehend klärte. [30] Von den in Frage kommenden Ortsnamen scheidet Kleberger den zeitlich wie von der Schreibform her am nächsten kommenden Ort Mümling-Grumbach aus: „ein unbedeutender Ort […] ohne Burg“. [31] Bereits Gustav Frhr. Schenk zu Schweinsberg hatte in einer auch den Ort berührenden Kontroverse Mümling-Grumbach als Wohnsitz der Crumbacher ausgeschlossen, da er u. a. keine Reste einer Burg finden konnte; der Darmstädter Archivar hatte sich selbst davon „an Ort und Stelle überzeugt [...] nicht die geringste Spur einer Burganlage, nicht einmal ein größeres Gut befand sich daselbst. Genaue Erkundigungen haben ergeben, daß auch bei den Bewohnern keine Spur von Erinnerung an eine solche Anlage sich erhalten hat“. [32] Er plädierte daher für Fränkisch-Crumbach und ebenso Elisabeth Kleberger.
Doch für Mümling-Grumbach spricht eine Urkunde des Pfalzgrafen Rudolfs I. von vor dem 14. März 1310, auf die Thomas Lux aufmerksam machte mit der Wiedergabe des Abdrucks bei Schannat [33] und einer Übersetzung. [34] In dieser Urkunde verzichtet der Pfalzgraf für Abt Heinrich von Fulda auf die Vogtei über das Nonnenkloster in Höste, [in] Crumpach und im Dorf Höste und anderen umliegenden Dörfern, soweit sie zu dieser Vogtei gehören, die er und seine Vorfahren vom Abt als Lehen inne hatten und die Heinricus et Arrisius nobilis de Crumpach als Afterlehen inne haben, mit allen Rechten und Pflichten. [35] Den Verzicht bestätigte der Abt in einer in Nürnberg ausgestellten Urkunde vom 14. März 1310. [36] Für Mümling-Grumbach spricht die namentliche Hervorhebung des Ortes neben dem Dorf Höchst, während die andern umliegenden Dörfer nur pauschal genannt werden. [37] Jedenfalls kann es sich bei diesem Crumpach nicht um Fränkisch-Crumbach handeln, und die Hervorhebung macht es wahrscheinlich, dass sich die Crumbacher nach diesem Crumpach, also Mümling-Grumbach, nannten. Auch Ludwig Hahn hatte bereits gegen Kleberger Zweifel an Fränkisch-Crumbach angemeldet und „möchte eher ein Geschlecht in Mümling-Grumbach annehmen,“ obwohl ihm „der Beweis hierzu noch fehlt“. [38] Nach wie vor skeptisch äußert sich im aktuellsten Beitrag zu den Crumbachern Thomas Steinmetz gleich zu Anfang in einem forschungsgeschichtlichen Rückblick: „Vorweg ist festzuhalten, dass bis heute kein definitiver Beweis existiert, dass die hier interessierenden Herren von Crumbach tatsächlich nach dem heutigen Fränkisch-Crumbach und nicht nach einem der nicht gerade seltenen gleichnamigen Orte benannt waren.“ [39] Mit guten Gründen für Mümling-Grumbach hatte jedoch Hans H. Weber argumentiert unter Heranziehung unserer Urkunde von 1303, die auch die Ersterwähnung von Ober-Höchst überliefert, und der Urkunde vom 11. März 1314 (s.u.) sowie weiteren urkundlichen Nachweisen aus dem Wertheimer Staatsarchiv. Unweit von Höchst in Richtung Mümling-Grumbach vermutet er einen „Sattelhof“: „Vielleicht bildete er die Keimzelle für die Entstehung des Dorfes [Oberhöchst] und war ursprünglich der Sitz der Herren von Crumbach“. [40] Jedenfalls fanden sich, wie aus bestimmten Flurbezeichnungen hervorgeht, noch im 19. Jahrhundert beim Pflügen viele Fundamente. [41] Hier also hätte Gustav Frhr. Schenk zu Schweinsberg fündig werden können, wenn er etwas weiter nördlich von Mümling-Grumbach nach archäologischen Spuren gesucht hätte.
Höchst, Oberhöchst und (Mümling-)Grumbach führen gemeinsam die Reihe der Dörfer an in der die Klostervogtei betreffenden Urkunde vom 11. März 1314 [42] Die Brüder Heinrich und Arreus (Arroys), Herren in Grumbach (domini in Crumbpach), verkaufen dem Propst und dem Konvent des Nonnenklosters in Höchst (Hoeste) bei Breuberg (Bruberk) ihre Vogtei im Dorf Höchst (Hoeste), in Crumbach (Crumpbach), in Ober-Höchst (Hoeste superiori), in Dusenbach (Dusinbach), in Pfirschbach (Phirdisbach), in Annelsbach (Onoldisbach), in Hummetroth (Humbrechterode) und anderen Dörfern mit allen Rechten und Zugehörungen. — Die Brüder werden in beiden Ausfertigungen der Urkunde domini in Crumpbach „Herren in Crumbach“ [43] genannt; sollte das nicht dafür sprechen, dass Crumbach zumindest zeitweise auch der Sitz der Brüder war, auch wenn die Zeugenreihe vermuten lässt, dass die Crumbacher „zuletzt in der Reichstadt Frankfurt ansässig waren“ [44]?
Außerdem erscheint Crumbach in der Urkunde wieder an hervorgehobener Stelle. — Diese Urkunde liefert die Ersterwähnungen mehrerer Orte, die alle unweit von Höchst liegen; zu den nicht namentlich genannten „anderen Orten“ dürfte auch Dorndiel gehört haben. Soviel zu den Crumbachern, [45] den Ausstellern der Urkunde mit der Ersterwähnung von Dorndiel.
Im Streit der Ritter Rucker und Otto von Crumbach mit dem Komtur und den Brüdern der Mosbacher Johanniterkommende zogen die Crumbacher Ritter jedenfalls den Kürzeren. Die Kommende besaß in Dorndiel einen Hof und bezog auch den Zehnten des Dorfes. [46] Durch zahlreiche Schenkungen und Käufe gerade um 1300 wuchs der Besitz der Kommende erheblich. [47] Die Fehde mit den Crumbacher Rittern brachte einen weiteren Zuwachs.
Die Zeugenliste wird angeführt von Propst Heinrich des Augustinerinnenklosters Höchst, der Konvent gehört auch zu den Sieglern. [48] Der Propst vertrat die Interessen des Klosters nach außen. Diese betrafen den Grundbesitz des Klosters wohl auch in Dorndiel, das zu den 32 Dörfern gehörte, in denen das Kloster über Grundbesitz verfügte. [49] Das würde erklären, dass als erster Zeuge der Schultheiß Heinrich Rode von Dorndiel in der Zeugenreihe erscheint. Der 1303 in Dorndiel tätige Schultheiß wurde vermutlich von dem Amtmann Hermann von Otzberg eingesetzt, dem nächsten Zeugen. Er ist Siegler in einer weiteren Urkunde vom 18. Januar 1303: „Hermann gen. von Steckelberg (de Stekelberg), Amtmann in Otzberg (Otsberg)“. [50] Über den Zeugen Werner von Rimhorn gibt vermutlich eine Urkunde vom 29. August 1287 Aufschluss: [51] „Udelhild, Witwe des Ritters Dietrich gen. von Rimhorn verkauft mit Zustimmung ihrer Kinder ihre ererbten Güter in Groß-Umstadt (in villa Umestad) an Propst, Meisterin und an den Konvent der Nonnen zu Höchst (Hoste) für 60 Pfd. Heller.“ Bei Wernher von Rimhorn könnte es sich um einen Sohn der Udelhild handeln. Um eine Vermehrung des klösterlichen Grundbesitzes geht es auch in diesem Vertrag. Über den Zeugen Heinrich Ungerer konnte ich keine weiteren Hinweise finden. Der Schultheiß von Dusenbach ist wegen des Grundbesitzes des Klosters in seinem Dorf, das rechts der Mümling gegenüber Höchst liegt, ein betroffener Zeuge. Sein Dorf wird in der Urkunde vom 11. März 1314 mit den andern in der Nähe oder unweit des Klosters gelegenen Dörfern mit Namen genannt, darunter auch Ober-Höchst. Warum ausgerechnet Heinrich Rode von Dorndiel als erster Zeuge in unserer Urkunde von 1303 erscheint, bedeutet jedenfalls, dass das Dorf Dorndiel in dieser Zeit einen Schultheißen hatte und für die Mosbacher Johanniter von besonderem Interesse war. Dorndiel war ein Bauerndorf und ohne ortsansässigen Adel, für den wie für viele kinderreiche Adelsfamilien des vorderen Odenwalds das Höchster Nonnenkloster zur Versorgung der Töchter von besonderem Interesse gewesen wäre.
Abschließend noch einige Anmerkungen zum Alter und Namen des Dorfes Dorndiel. Die alte Ersterwähnung 1418 war Anlass, das Jubiläum „600 Jahre Dorndiel‘“ zu feiern im Rahmen der am 4. 11. 2018 durchgeführten jährlichen heimatkundlichen Wanderung des Heimat und Geschichtsvereins Mömlingen. Dorndieler mit ihrem Ortsvorsteher Karl-Heinz Dührig und Mömlinger mit Wolfgang Hartmann, dem Ehrenvorsitzenden des Vereins, trafen sich auf dem „Hintersberg“. Auf der im Hochmittelalter gerodeten Feldflur stand einst unweit vom „Bauernsee“ ein vom Fürstenhaus Löwenstein auf ehemals Breuberger Besitz errichteter Schafhof. Von der hier verlaufenden bayerisch-hessischen Landesgrenze kann man nach Dorndiel blicken. Hier informierte Hartmann über seine Forschungsergebnisse zur Entstehung und Namengebung des Nachbardorfes. [52]
Bereits vor der in meinem Beitrag nachgewiesenen Ersterwähnung 1303 muss Dorndiel existiert haben; wie weit man vom 13. Jahrhundert zurückgehen kann, ist allerdings ungewiss. Auf eine Besiedlung bereits in der Jüngeren Steinzeit deutet ein rundlicher Handmühlstein oder Quetscher, der in Dorndiel gefunden und 1912 an das Darmstädter Landesmuseum überwiesen wurde. [53] Wie in Mömlingen finden sich auch in der Umgebung von Dorndiel römerzeitliche Spuren. [54] In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde im Wald westlich von Dorndiel in der Nähe des „Pflanzgartens“ an der Kreuzung zweier alter Höhenwege (Alte Frankfurter Straße/Weinstraße) ein würfelartiger Block aus Sandstein mit den Maßen Höhe 41 cm, Breite 29-33 cm und Tiefe 28 cm gefunden.
„Auf der Vorderseite ist in einem viereckigen Rahmen eine menschliche Gesichtsmaske von grober Ausführung dargestellt. Das vollrunde Gesicht wird beherrscht von den hervorstechenden Augen, der großen Nase und dem weit aufgesperrten Mund. Vergleichbare Steinmonumente als Teile größerer Grabdenkmäler haben sich im nahe gelegenen Groß-Umstadt gefunden. In der Umgebung der Fundstelle der Dorndieler Gesichtsmaske wurden bereits öfter röm. Fundamentreste beobachtet, die auf einen kleinen Siedlungsplatz deuten könnten.“ [55] Die Gesichtsmaske, die im Landesmuseum Darmstadt unter der Inventar-Nr. IILA.9 aufbewahrt wird, stellt das Haupt der Medusa mit ihren deutlich erkennbaren Schlangenhaaren dar. [56] Medusenhäupter gehören in den Bereich der Abwehrzauber und sollten Unheil und unerwünschte Kindringlinge fernhalten. [57] Sie hatten eine ähnliche Aufgabe wie die sogenannten „Neidköpfe“, die Winfried Wackerfuß in einer umfangreichen Sammlung mit Funden aus dem Odenwald bekanntgemacht hat; als ältestes Beispiel führt er die Dorndieler Steinmaske an. [58]
Die Deutung des Ortsnamens bedarf noch einiger Präzisierung anhand der einschlägigen lexikographischen Nachschlagewerke. Der in der Ersterwähnung 1303 belegte Name dorndil erscheint in den Belegen des 15. Jahrhunderts in dreisilbigen Formen mit -Il- (dorndylle, dorndille), seit dem 16. Jahrhundert erscheinen dann die apokopierten Formen auf -dill/-dyll, die abgelöst werden durch die zweisilbigen dorn-diell/-diehl mit Dehnung der Zweitsilbe. [59] Wolfgang Hartmann hat auf das frühe Alter des Ortsnamens hingewiesen und diesen plausibel gedeutet mit der Lage des Dorfes an der Grenze zwischen den Centen Bachgau und Umstadt, die wahrscheinlich durch einen „Heckenzaun“ befestigt war:
„Da der am westlichen Dorfrand liegende „Pfalzhof“, auch „Dorndieler Hof [60] genannt [. . .], einst zur kurpfälzisch-hessischen Cent. Umstadt, das übrige Dorndiel aber zur mainzischen Cent Bachgau gehörte, verlief die alte Centgrenze, und damit auch der Centhag, zwischen den Hofstätten der Ortschaft. Dieser Besonderheit, der unmittelbaren Lage der Siedlung an einer „Dorndulle“, dürfte der Ortsname Dorndiel seine Entstehung verdanken.“ [61]
Auf dem Gelände des „Pfalzhofs‘“ auf der westlichen Seite gegenüber der durch den Heckenzaun gesicherten Centgrenze befand sich im 14. Jahrhundert eine Kleinburg, die vermutlich den Taleingang auf der pfälzischen Seite kontrollieren sollte. [62]
Was die 1303 überlieferte Form des Ortsnamens dorndil betrifft, so gibt es allerdings keinen Beleg für die Schreibung dorn-dulle, nur die -i/-y-Schreibung des Grundworts ist bezeugt. Die Form mit -dulle geht zurück auf einen Aufsatz von Ludwig Bossler von 1884, der für das Grundwort die erst Ende des 13. Jahrhunderts in Gebrauch kommenden oberdeutschen Formen tülle, tulli, dulle ‚Zaun, Hag‘ verzeichnet, [63] jedoch nicht die mittelhochdeutsche Normalform dil/dille, die u.a. auch die Bedeutung ‚Bretterwand, Zaun‘ hat. [64] Die entsprechende neuhochdeutsche Form ist Diele, [65] die sich lautgeschichtlich aus mittelhochdeutsch dil/dille entwickelt hat. [66]
Mit freundlicher Genehmigung von Herrn Prof. Dr. phil. Kurt Gärtner und Herrn Wackerfuß "DER ODENWALD".